Alle 11 Minuten verliebt sich ein Helfer ins Ahrtal

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Ahrweiler, Bad Neuenahr, Schuld – natürlich kannte ich diese Namen aus den unterschiedlichsten Medien. War es hier doch im Juli zu einer verherdenden Flutkatastrophe gekommen. Schlimme Bilder die da im Fernsehen gezeigt wurden. Viel Leid und Trauer war zu sehen. Für mich aber war das Ganze nicht greifbar, waren es doch „nur“ Bilder im Fernsehen.

Marschbefehl ins Ahrtal

Im Oktober kam dann über unseren DRK Kreisverband Karlsruhe eine erneute Abfrage, wer als Helfer für den Einsatz im Ahrtal zur Verfügung stehen würde. Auch ich meldete mich, ich wusste da muss ich hin! Es dauerte auch nicht lange und ich bekam meinen Marschbefehl in den Bereitstellungsraum nach Koblenz. So ging es für mich am 20.11.2021 auf die A5 Richtung Frankfurt. Nicht wissend was mich erwarten würde oder was ich zu tun habe. Kilometer um Kilometer kam ich Koblenz immer näher und meine Anspannung wuchs stetig.

Und da war ich nun, an der Schranke die auf den Hof des Bereitstellungsraums führte. Auto geparkt und auf direkten Weg zur Einsatzleitung. Meldekopf wurde das hier genannt. Erinnert mich etwas an meine Bundeswehrzeit. Da stand ich nun etwas verloren auf dem großen Parkplatz und wartete, dass man mich abholte. Mein erster Eindruck war „Wahnsinn, was hier an Material und Fahrzeugen rumsteht!“, keine 24 Stunden später sollte ich erfahren warum das so ist.

Meine Anmeldung bei der Einsatzleitung ging recht schnell über die Bühne und so hatte ich etwas Zeit mich umzusehen. Das erste was ich bemerkte, im DRK Einsatz ist man nie alleine. Schnell hatte sich eine Gruppe aus 8 Leuten gebildet. Einige davon waren schon „Veteranen“ und nicht zum ersten Mal in Koblenz. Sie erzählten ein wenig, was mich im „Tal“, so nannten sie salopp das Ahrtal, erwarten würde. Diese Informationen waren für mich völlig surreal, waren es doch ganz andere Informationen, als die, die ich aus dem Fernsehen kannte. „Die übertreiben doch bestimmt“ dachte ich mir, keine 3 Stunden später wusste ich es jedoch besser.

Um 14:00 Uhr schnappten sich einige unserer kleinen Gruppe einen VW T6 Bus um ins Tal zu fahren. Sie hatten in den früheren Einätzen einige Freundschaften geschlossen und diese galt es nun zu besuchen und ein paar Geschenke aus der jeweiligen Heimat mitzubringen. Ein Platz war noch frei und ich wurde gefragt ob ich ihn nicht besetzen wolle. Ohne lange zu überlegen setzte ich mich in den Bus. Dann ging es auch schon los, ab auf die B9 und direkt Richtung Ahrweiler. Von der Ausfahrt Ahrweiler-Bad Neuenahr, konnte ich schon die ersten Auswirkungen der Flutkatastrophe sehen. „Sieht ja gar nicht so schlimm aus…“ hatten die anderen wohl doch übertrieben in ihren Erzählungen?

Ausmaß der Zerstörungen

Wir ließen Bad Neuenahr und Ahrweiler hinter uns und fuhren direkt der Ahr folgend ins Tal. Vorbei an Walporzheim nach Mariental, unserem ersten Geschenke-Stopp. Nun war für mich die Zeit gekommen, sich gedanklich bei meiner kleinen Gruppe zu entschuldigen. Sie hatten keinesfalls übertrieben in dem Ausmaß der Zerstörung. Was ich in Mariental zu sehen bekam, trieb mir die Tränen in die Augen. Hier stand kein Stein mehr auf dem anderen, Straßen waren fast nicht zu erkennen. Ich sah viele Leute in den letzten noch stehenden Häusern, um diese wieder aufzubauen. Keine Trauer im Gesicht nein, sie alle waren hoch motiviert ihr Dorf wieder aufzubauen. Es wurden Blumen gepflanzt und sich darüber gefreut wie sie wachsen. Es gab einen kleinen Marktplatz, wo sich die Menschen trafen um zu reden und gemeinsam ein Bier zu trinken. Zu dieser Zeit wusste ich noch nicht, das Mariental nicht am schlimmsten getroffen wurde. Nach gut einer halben Stunde verabschiedeten wir uns wieder von den lieben Menschen in Mariental und fuhren weiter Richtung Dernau.

Das erste was ich von Dernau sah, war eine abgerissene Brücke. Fundamente mit 6 Metern Durchmesser, abgerissen wie Papier. Was für eine Kraft muss hier am Werk gewesen sein? In Dernau selbst, war die Zerstörung noch größer als in Mariental. Hier waren ganze Straßenzüge leergespühlt worden. Wo vor 5 Monaten noch Häuser standen, war nun nur noch ein brauner und schlammiger Streifen übrig. Auf einer Häuserwand waren viele Bilder zu sehen, Bilder welche die Bevölkerung als Dank für die Helfer gemalt hatten. Da war unter anderem zu lesen „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Helfer ins Ahrtal“ was ich nur zu gerne unterschreiben konnte! Dieses Tal ist, auch trotz der Zerstörung, für mich einer der schönsten Flecken unseres Landes. Natürlich werde ich hier her zurückkommen! In Dernau kam es für mich auch zu den ersten Gesprächen mit der betroffenen Bevölkerung. Mir wurden Dinge erzählt, welche ich lieber nicht gehört hätte. Aber wir waren vom Roten Kreuz und eine unserer Aufgaben ist das Zuhören und bei Bedarf Trost spenden. Nie hätte ich gedacht, dass mich meine Arbeit im Roten Kreuz einmal so an meine psychische Belastungsgrenze bringen kann.

Weiter ging es nach Rech. Auch hier war kein Stein mehr auf dem anderen. Genau wie in den anderen Dörfern, wurde auch in Rech der Wiederaufbau betrieben. Wo man hinsah, motivierte Menschen die tatkräftig an Häusern bauten. Nach all dem was ich bis jetzt gesehen und gehört habe, konnte ich nicht anders als tiefen Respekt für diese Menschen zu empfinden. Die wahren Helden vom Tal sind die Betroffenen selbst.

Unser nächster Halt war Mayschoß. Hier war die Flutwelle so gewaltig, dass sogar Eisenbahnbrücken aus Stahl wie Streichhölzer umgeknickt worden waren. Der Gedanke daran, dass über diese Brücke einmal tonnenschwere Züge rollten und die Brücke nicht einmal im Ansatz der Belastung nachgab und auf der anderen Seite, dass Wasser die Gewalt besaß diese Brücke zum Einsturz zu bringen machte mich sehr nachdenklich und ließ mich erschaudern was für eine Gewalt Mutter Natur haben kann.

Mein letzter Halt für diesen Tag war Altenahr. Auch hier hatte Mutter Natur erbarmungslos zugeschlagen. Straßen waren keine vorhanden, notdürftig wurde durch die Bundeswehr so etwas wie eine Straße gebaut. Häuser die direkt an der Ahr gestanden hatten waren weg. Sie wurden regelrecht davongeschwemmt. Ganze Häuser sind hier die Ahr entlang geschwommen bevor sie von den Fluten verschluckt wurden. Auch in Altenahr gab es wieder Gespräche mit der Bevölkerung. Der gleiche Ton und Inhalt wie schon in Mayschoß. Geschichten die man sich nicht mal am Lagerfeuer erzählt um Kinder zu erschrecken. Für mich ist es bis heute noch nicht greifbar, was diese Menschen erlebt haben.

Die Flutkatastrophe hat nicht, wie im Fernsehen berichtet, ein paar wenige Ortschaften erwischt. Nein das Schadensgebiet erstreckt sich auf fast 70 Kilometer länge. 70 Kilometer Schmerz, Verlust, Trauer und Wut, aber auch 70 Kilometer ungebrochene Motivation!

In dieser Nacht habe ich sehr lange gebraucht, um so etwas wie Schlaf zu finden. Die Bilder, die Geschichten ließen es einfach nicht zu.

Ehrenamt heißt Menschlichkeit

„Alle 11 Minuten verliebt sich ein Helfer ins Ahrtal“. Darum werde ich am 18.12 wieder ins Tal fahren. Diesmal bin ich jedoch nicht alleine. Diesmal wird mich mein Schwager begleiten, welcher sich extra Urlaub dafür nehmen musste. Urlaub nehmen für das Ehrenamt? Für mich nicht vorstellbar, dass es Arbeitgeber gibt, die das wirklich verlangen. So etwas kenn ich von meinem Arbeitgeber nicht. Zu jeder Zeit und für jeden Lehrgang, der mit meinem Ehrenamt zu tun hatte, wurde ich ohne Diskussion und Wenn und Aber freigestellt. Natürlich gab es die ein oder andere Arbeit, die übergeben werden musste, aber bis jetzt konnte ich alles fürs Ehrenamt tun und hatte die volle Unterstützung meines Arbeitgebers.

Aber nicht nur eine Freistellung für das Ehrenamt bekomme ich, nein – mein Arbeitgeber wird unseren Bus, mit dem wir ins Tal fahren, mit Weihnachtsgeschenken für die Bevölkerung füllen. Unbürokratisch und wie gewohnt ohne Diskussion wurde dies kurzerhand auf dem kleinen Dienstweg entschieden und umgesetzt!

Natürlich gibt es Arbeitgeber die höhere Löhne bezahlen oder wo man ein schickeres Auto bekommt, für mich jedoch gilt die Menschlichkeit eines Unternehmens viel mehr, denn unterm Strich entscheidet die Menschlichkeit über den Spaß am Arbeiten. Daher gilt mein größter Dank meinem Arbeitgeber der sila consulting GmbH.

Foto: Deutsches Rotes Kreuz

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